Städtische Mädchenrealschule: Diskussion über Gedenken an NS-Opfer
VON JOHANNES THOMAE
Rosenheim – Die jüngsten Ereignisse in Halle haben es auf tragische Art wieder bewiesen: Zuerst werden in einer Gesellschaft die Grenzen dessen, „was man doch noch wird sagen dürfen“ immer weiter verschoben, dann folgen die Taten. Umso wichtiger ist, dass die Erinnerung daran wachgehalten wird, wohin eine derartige Entwicklung schon einmal geführt hat.
Ein Konsens, der auch unter jungen Leuten weit verbreitet ist. Dr. Thomas Nowotny von der „Initiative Erinnerungskultur – Stolpersteine in Rosenheim“ hat über einen Fragebogen an verschiedenen Schulen in Rosenheim und auch in Stephanskirchen ein Meinungsbild erhoben, wie die junge Generation zur Frage der Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus steht. Über 93 Prozent fanden die Erinnerung sehr wichtig. Zur Frage steht allein die Form: Wie sollen die Anstöße zu Erinnerung aussehen, damit sie tatsächlich etwas auslösen und nicht zum bloßen Denkmal verkommen?
Familie im Dritten Reich ausgelöscht
Darüber wurde jetzt bei einer Veranstaltung in der Städtischen Mädchenrealschule in Rosenheim diskutiert. Ein Ort, der nicht von ungefähr gewählt wurde: Die Schule hatte in Elisabeth Block eine Mitschülerin, die mit ihrer gesamten Familie im Dritten Reich ermordet worden ist. Eine Tatsache, die an dieser Schule keine Chance hat, ins Vergessen zu fallen. Im Gegenteil. Man sucht nach einer Möglichkeit, an sie nicht nur innerhalb der Schule zu erinnern, sondern auch außerhalb, für alle sichtbar. Denn man weiß dort, dass eines für eine wirksame Erinnerung ganz wesentlich ist, dass sie nicht abstrakt bleibt, sondern mit Einzelschicksalen verknüpft ist.
Eine Tatsache, die an diesem Abend auch Schülerinnen der Otfried-Preußler-Mittelschule aus Stephanskirchen noch einmal ausdrucksvoll vor Augen führten. Sie hatten die Verlegung von Gedenksteinen, sogenannten Stolpersteinen, für die Familie Block an ihrem Wohnort in Niedernburg und auch für den Stephanskirchner Johann Vogl in einem preisgekrönten Schulradioprojekt aufgearbeitet, das sie an diesem Abend vorstellten. In dem Zusammenhang war auch das KZ Dachau besucht worden.
„Wir dachten“, so erzählte die das Projekt begleitende Lehrerin Michaela Hoff, „wir würden dort irgendwo auf den Namen Johann Vogls stoßen können. Erst dort haben wir gemerkt, wie naiv wir waren, weil der Mord dort in buchstäblich industriellem Maßstab stattfand. Da waren keine Namen mehr, da waren nur noch Zahlenkolonnen.“ Die Schülerinnen versuchten, in ihrem Radioprojekt sowohl Johann Vogl als auch Elisabeth Block Gesicht und Stimme wieder zurückzugeben, und die Folge davon war „dass sie uns nahekamen, dass wir am Ende das Gefühl hatten, in beiden neue Freunde gewonnen zu haben“.
Die genannten Stolpersteine sind nun genau der Versuch, an Einzelne zu erinnern, die Masse der Ermordeten in individuelle Schicksale aufzulösen. Sie sind ein Projekt, das vor 27 Jahren von dem Künstler Gunter Demnig initiiert wurde, über 70000 der Stolpersteine gibt es mittlerweile, verlegt in 24 Ländern.
Allerdings gibt es gegen diese Steine, die meist an den ehemaligen Wohnhäusern der Betroffenen in den Gehweg eingelassen werden, auch Vorbehalte: Die Ermordeten würden, so heißt es unter anderem, dadurch gewissermaßen noch einmal mit Füßen getreten. In München hat man sich deshalb für eine Variante entschieden, bei der einzelne Stelen aufgestellt werden, an denen dann kleine Plaketten mit Bild und Lebensdaten an das jeweilige Schicksal erinnern. Eine Lösung, die den Zuhörern von Kilian Stauss vorgestellt wurde, Hochschullehrer für Design und maßgeblich an der Entwicklung der Stelenlösung beteiligt.
Zwei Möglichkeiten zur Auswahl
Die Schulfamilie der Realschule hat bei der Suche nach einer Möglichkeit, auch im Außenbereich an ihre ehemalige Mitschülerin zu erinnern, nun zwei Varianten. Egal, für welche Lösung man sich an der Realschule entscheidet, man wird dazu zunächst die Zustimmung der Stadt Rosenheim brauchen. Denn nicht nur der Gehweg vor der Schule, sondern auch das Schulgelände selbst – zum Beispiel der Pausenhof – ist Eigentum der Stadt. Die entsprechende Anfrage wird dann, hofft Thomas Nowotny, auch in der Stadt selbst die Diskussion nach der Erinnerungskultur noch einmal mit neuem Schwung versehen.
Ein Prozess, der, so wünscht sich Magdalena Ramm, die Schulleiterin der Schule, vielleicht auch noch einen weiteren Nebeneffekt haben könnte: Dass der Stadtrat noch einmal über eine eventuelle Umbenennung der Ebersberger Straße 13, an der die Schule liegt, in Elisabeth-Block-Platz nachdenkt. Diese Umbenennung wäre etwas, das sich die Schulfamilie als zusätzliches Zeichen der Erinnerung sehr gut vorstellen könnte. „Denn der Name von Elisabeth Block würde dann auch im Briefkopf der Schule stehen“, sagte Magdalena Ramm.
Die Umbenennung der Schule selbst ist, da äußerst sich Schulleiterin Ramm ganz eindeutig, demgegenüber definitiv keine Option. Dagegen hätten sich bereits vor einigen Jahren mehrheitlich alle zu befragenden Gremien – Schülermitverwaltung, Elternbeirat, Lehrerschaft – ausgesprochen. Mit Argumenten, die durchaus zeitlos seien, wie Magdalena Ramm betont. So hätten zum Beispiel die Schülerinnen damals argumentiert, dass auf die Frage, in welche Schule sie gingen, dann immer die Nachfrage käme, woher der Name rühre. „Und dann müssten wir sagen: Das ist eine Mitschülerin von uns gewesen, die man im Dritten Reich ermordet hat.“
Auch das sei natürlich Erinnerung, sagt Magdalena Ramm, „aber es ist keine, die in irgendeiner Form in die Zukunft führt, weil ohne eine Chance auf eigene Initiative, kurz ohne jeden positiven Aspekt, etwas, das für junge Menschen einfach wichtig ist.“ Die Mädchen damals hätten es sehr gut auf den Punkt gebracht: „Den Namen der Schule erklären zu müssen, würde nur eines machen – jedes Mal aufs Neue unheimlich traurig.“